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Rheuma ist ein Arschloch

Ich bin sauer. Dieses unqualifizierte Geschwafel geht mir echt auf den Zeiger. Ja, ich kann manchmal kaum eine Tasse heben und ja, ich bin oftmals nicht in der Lage einen Stift zu halten (dabei liebe ich es, mit der Hand zu schreiben, das leicht kratzende Geräusch, wenn die Feder über das Papier gleitet ist wahrlich Musik in meinen Ohren).

Rheumatoide Polyarthritis. Und ja, auch ich hatte einmal eine Phase, in der ich glaubte, dass der Verzicht auf das eine oder andere Lebensmittel, die Zufuhr von bestimmten Nahrungsergänzungsmitteln, das Einreiben mit Ölen aus dem Ich-mach-mir-selber-was-vor-Land, Massagen mit Mittelchen aus der Tiermedizin, Gelenkwickel mit stinkendem Irgendwas, das Herunterwürgen von widerlichen Gesundheitstees, Ölen und Tränken (und noch vieles mehr) die Entzündungswahrscheinlichkeit in den Gelenken drastisch reduzieren könnten. Doch diese Phase ist abgeschlossen. Endgültig. Ich musste einsehen, dass eine medikamentöse Einstellung unabdingbar und ergänzend hierzu eine schonende, auf mich abgestimmte Bewegungstherapie sowie regelmäßige Ruhephasen Schmerzen lindern. Punkt. Hierüber möchte ich auch nicht weiter diskutieren. Nochmal Punkt. Oder besser: Ausrufungszeichen.

Und doch gibt es immer wieder Menschen, die ach so gut gemeinte Ratschläge erteilen. Danke. Und auch danke für Aussagen wie „so alt bist du doch noch gar nicht“, „da musst du etwas gegen tun“ oder „mir tun auch manchmal die Gelenke weh“. Ich kann es nicht mehr hören. Übrigens werden auch gerne verschiedene Autoimmunerkrankungen gegenübergestellt und dann (natürlich in meinem Beisein – ich soll ja schließlich noch etwas lernen) darüber gefachsimpelt, was wohl die schlimmste aller Krankheiten ist. Ranglisten mit Punkten von 1 (aushaltbar) bis 10 (ganz besonders grauslich) werden erstellt. Vornehmlich von Menschen, die keine, aber auch überhaupt keine Erfahrung mit irgendeiner dieser Krankheiten gesammelt haben. Ich wünsche es ihnen auch nicht. (Na ja, meistens jedenfalls nicht).

Aber: Wenn mir bei einem gemeinsamen Frühstück die Kollegin wortlos das Brötchen aus der Hand nimmt um es mir aufzuschneiden, ich akzeptiert werde, wie ich bin, ohne dass nur ein Wort darüber verloren wird, dann bin ich glücklich, dass es sie doch gibt, die Kehrseite der Besserwisserei.

Ach – alle sind gegen mich …

Wer kennt sie nicht, diese ewigen Opfer? Die Betrogenen? Die vom Leben Gebeutelten? Die ständig Gemobbten und ewig Belogenen?

Schuld sind immer die anderen. Der Chef, der einfach zu viel verlangt. Der Arzt, der viel zu inkompetent ist. Der Nachbar, der nie Rücksicht nimmt. Der Partner, der nicht mitfühlend ist. Der Freund, der kein Verständnis hat. Die Eltern, die Kollegen, die Schwiegermutter, der Tankwart, die Verkäuferin und noch viele andere mehr.

Gekränkt ziehen sie sich zurück. Diese armen Menschen. Schmollend und beleidigt. Sie können doch wirklich nichts dafür.

Puh, manchmal ist mir das einfach zu viel. Und es langweilt mich. Manchmal geht es mir sogar gewaltig auf die Nerven. Zugegeben, es ist weitaus weniger anstrengend, wenn man die Verantwortung auf andere abwälzen kann. Und ich gestehe, dass auch ich oftmals versucht bin, den bequemeren Weg zu gehen. Dann heißt es nur: Blöder Chef, blöder Nachbar, blöder Freund … und Punkt. Alle sind so gemein zu mir, ich armes Hascherl. Ausrufungszeichen.  –
Da bin ich doch fein raus aus der Nummer.

Doch ich kann andere Menschen nicht ändern. Allerdings kann ich sehr wohl mich selbst ändern, in mich gehen, an mir arbeiten.

Denn: Hat nicht jede Sache, jede Situation zwei Seiten? Sollte man sich nicht lieber fragen, warum man sich betrogen, belogen, gekränkt – also als Opfer fühlt? So ganz ehrlich einmal Aktion und Reaktion hinterfragen? Reflektieren?

Ja ja, ich weiß, das ist natürlich nicht ganz so einfach. Denn, wer ehrlich zu sich selbst ist, wird genau dann erkennen, dass man oftmals gar nicht so unschuldig ist, wie man sein Umfeld gerne glauben lassen will. Das müsste man dann sogar im Zweifelsfall zugeben. Und ja: Die eigenen Gefühle, insbesondere die Kränkung zu hinterfragen, kann zu Antworten führen, die ziemlich unangenehm sein können. Nun, man muss sie ja niemanden verraten.  Aber wenn man sich dem stellt, dann kann man mit vielem abschließen, gelassen sein und seinen inneren Frieden finden.

 

Zeitumstellung – nein, danke!

Nee, also wirklich, das braucht kein Mensch. Ich zumindest nicht. Eine Stunde vor – dann wieder zurück. Hin und her – her und hin. Diese elendigen Zeitumstellungen.
Mein biologischer Rhythmus ist eh schon sehr empfindlich. Und jetzt? Jetzt ist mein Körper wieder einmal total aus dem Konzept geraten. Müdigkeit und Wachzustand überkommen mich ständig zur falschen Zeit, ich fühle mich ganztägig unwohl. Und mal wieder frage ich mich, warum dieses Sommer- und Wintergedöns nicht endlich abgeschafft wird.
Ja, ja, ich bin ungehalten. Beinahe übellaunig. Aber: Es gibt doch wahrlich genug missliche Umstände im Leben, auf die wir keinen Einfluss haben. Warum schaffen wir uns auch noch selber unwohle Zeiten? Ich verstehe das nicht. Kater Tristan auch nicht. Sein verständnisloser Blick, wenn ich nun eine Stunde früher aufstehe, sagt alles. Jetzt brauchen wir wieder ein paar Tage, bis wir uns halbwegs daran gewöhnt haben und … schwupps … da haben wir schon wieder Herbst und das Spiel beginnt von vorn.
Nee, also echt jetzt, das brauche ich definitiv nicht.

Geschichten will ich schreiben …

Da sitze ich an meinem Schreibtisch. Geschichten will ich schreiben. Über Menschen, die in ihrer Welt gefangen sind. Die daraus ausbrechen oder daran scheitern.

Und was mache ich?

Den Rentenantrag für meinen Liebsten ausfüllen. Kopien fertigen. Unterlagen heraussuchen. Alle zwei Jahre das gleiche Prozedere.
Liebe Rentenversicherungsanstalt, warum glaubst du eigentlich nicht den Ärzten, dem Neurologen, dem Neuroonkologen, dem Strahlenarzt, den Therapeuten … ?

Der nächste Antrag. Verlängerung des Schwerbehindertenausweises. Auch hier alle zwei Jahre das gleiche Prozedere.
Lieber Landrat, liebes Sozialamt, warum glaubt ihr nicht den Ärzten, dem Neurologen, dem Neuroonkologen, dem Strahlenarzt, den Therapeuten … ?

Und noch ein Antrag. Ein Antrag auf Bezuschussung eines zweiten Treppengeländers von Seiten der Pflegekasse. Doch halt, ich brauche ja noch eine Notwendigkeitsbescheinigung des Pflegedienstes. Pflegedienst? Ich pflege doch selbst. Ach ja, ich warte also auf den halbjährlichen Kontrolltermin (ja, ja, ich weiß, das heißt eigentlich Beratungseinsatz) unseres Pflegedienstes.
Liebe Pflegekasse, erst kürzlich war der Medizinische Dienst zur Widerholungsprüfung bei uns. Warum glaubst du nicht deinem eigenen Dienst? Warum schaut ihr nicht einfach in den ausführlichen und euch vorliegenden Bericht?

Da sitze ich nun an meinem Schreibtisch. Geschichten will ich schreiben. Über Menschen, die in ihrer Welt gefangen sind. Die daraus ausbrechen oder daran scheitern. Und was mache ich?

Ich schreibe meine eigene kleine Geschichte.

Sie ist da …

Ich erinnere mich an die Zeit, kurz nach der Diagnose. Eine Zeit voller Angst und Hilflosigkeit. Sie fuhr in Urlaub. Niemand wusste, wo sie war und für wie lange. Keine Erreichbarkeit.
Ich erinnere mich an die Zeit im Krankenhaus. Kurz vor seiner OP. Eine Zeit voller Anspannung und Ungewissheit. Sie war wiederum in Urlaub. Doch dieses Mal rief sie an. Muss ich kommen? war ihre Frage.
Ich erinnere mich an die Zeit auf der Intensivstation. Mein Vater begleitete mich, um seinem Schwiegersohn über die Wange zu streicheln.
Ich erinnere mich an die Zeit, als es ihm schlecht ging. „Bescherungen“ beseitigen – säubern. Nein, sie könne das nicht.
Ich erinnere mich an nicht eingehaltene Absprachen. Aber was galten Absprachen. Der Sohn verstand nichts (mehr) davon.
Ich erinnere mich an die Zeit der Strahlentherapie, in der sie einen Nachmittag die Fahrt zur Klinik übernehmen sollte. Sie nahm von ihrem Sohn Benzingeld für eine ganze Tankfüllung.
Ich erinnere mich an die Zeit, als sie endlich ihren Traum verwirklichte und auszog. 500 Kilometer weg von ihrem Sohn. Überschrieb ihm die Wohnung, ohne nichts unversucht zu lassen, ihn zu übervorteilen.
Ich erinnere mich an so viele Begebenheiten. Immer wenn sie hier ist und ihre Schwester besucht, werden sie lebendig.
Tja, und im Moment ist sie hier. Seit drei Tagen schon. Aber ihren Sohn hat sie noch nicht begrüßt.

Eigentlich …

… finde ich es ziemlich doof, über das Wetter zu schreiben. Eine Sache, die man sowieso nicht ändern kann, sollte man einfach ignorieren. Außerdem ist die Wahrnehmung jeweils eine andere. Was dem einen zu heiß, ist dem anderen angenehm. Was der einen zu kalt, ist für die andere genau richtig. Also ist es doch müßig, über das Wetter zu schreiben, oder?!
Ich persönlich habe etwas gegen das Extreme. So eben auch beim Wetter.
Trotzdem, mir ist es einfach zu heiß. Mein Kopf ist dumpf und leer. Das Sommerloch breitet sich immer weiter darin aus. Es macht sich so breit, dass kaum mehr Platz für anderes zur Verfügung steht. Dieses Sommerloch … es wird größer und größer hämmert und klopft von innen gegen die Schädeldecke. Es will wahrscheinlich hinaus in die weite Welt, sich immer weiter ausbreiten, die Herrschaft übernehmen.
Ständig ist mir schwindelig, die Haut ist klebrig feucht. Nur nicht bewegen. Meine Laune verschlechtert sich. Je bewegungsunfähiger ich werde, desto übler wird meine Laune. Und bei dem nächsten, der mir von diesem „herrlichen“ Sommerwetter vorschwärmt, werde ich wahrscheinlich meine guten Manieren vergessen und …
Ach, eigentlich finde ich es ziemlich doof über das Wetter zu schreiben.

Offener Brief der Jutta Jammer

Liebe Mitmenschen,

ich weiß gar nicht, was Sie alle gegen mich haben. Ich bin doch eigentlich diejenige, die wirklich alles in die Hand nimmt, sich auf alles bis ins kleinste Detail vorbereitet, damit der Laden läuft. Wenn ich dann aber nicht mehr will, dann heißt es sofort, ich sei zickig. Das ist wirklich gemein. Ich bin NICHT zickig. Es wird nur nicht das gemacht, was ich will! Ph, Sie werden schon sehen, was Sie davon haben. Jetzt müssen Sie ohne mich auskommen. Ich jedenfalls bin jetzt mal krank, verschollen, geplatzt, nicht mehr ansprechbar. So! Basta! Wenn Sie nicht erkennen können, was ich für ein toller und sensibler Mensch bin, dann muss ich Ihnen das halt mal so richtig vor Augen führen. Von wegen unzuverlässig. Ich bin die zuverlässigste Person überhaupt. Ok, manchmal, eigentlich immer, komme ich ein bisschen zu spät. Aber höchstens eine Stunde. Dann bin ich da. Es sei denn, ich sage ab. Und wenn ich etwas tun soll, dann mach‘ ich das auch. Nur manchmal eben nicht. Aber dafür muss doch nun wirklich jeder Verständnis haben. Schließlich habe ich arge Probleme mit mir selbst. Das betone ich schließlich immer wieder, wenn ich denn einmal darüber spreche. Eigentlich spreche ich ja nicht darüber. Trotzdem bin ich erstaunt, dass so viele Menschen von meinen traumatischen Erlebnissen wissen. Was soll’s. Fleißig bin ich übrigens auch. Man muss einfach nur akzeptieren, dass ich manche Dinge nicht tun will. Weil, wenn man mich unter Druck setzt, dann kann ich nicht. Weder arbeiten, noch pinkeln, oder sonst irgend etwas. Nix kann ich dann. Aber ich erwarte schon von meinen Mitmenschen, dass sie mich so nehmen wie ich bin. Ach, was heißt hier nehmen? Lieben soll man mich, wie ich bin. Zumindest mögen. So! Basta! Ich kann schließlich nichts dafür. Und dass ich von Ihnen kritisiert werde, finde ich totaaaaal unfair.
Mit beleidigten Grüßen
Ihre
Jutta Jammer

Manche Menschen sind einfach nur anstrengend …

Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte …

… würde ich mir erlauben, mehr Fehler zu machen. Ich würde mich entspannen, ich würde die Dinge lockerer angehen. Ich würde alberner sein als bei dieser Reise. Ich würde weniger Dinge ernst nehmen. Ich würde mehr Chancen ergreifen. Ich würde mehr Berge besteigen, öfter in Flüssen schwimmen und mehr Sonnenuntergänge anschauen. Ich würde mehr Eis und weniger Spinat essen. Vielleicht hätte ich dann mehr wirkliche Probleme, aber dafür weniger eingebildete.
Weißt du, ich bin jemand, die vernünftig lebt, Stunde um Stunde, Tag um Tag. Oh ja, auch ich hatte meine Momente und wenn ich noch einmal von vorne anfangen könnte, würde ich dafür sorgen, dass ich mehr davon hätte. Genau genommen würde ich versuchen, nichts anderes zu haben. Einfach nur Augenblicke, einen nach dem anderen, anstatt ein Leben lang immer auf die Zukunft zu warten.
Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich im Frühling früher anfangen, barfuß zu gehen, und im Herbst würde ich später damit aufhören. Ich würde öfter tanzen gehen. Ich würde öfter Karussell fahren. Ich würde mehr Gänseblümchen pflücken. Wenn du dich andauernd nur schindest, vergisst du sehr bald, dass es so wunderbare Dinge gibt wie zum Beispiel einen Bach, der Geschichten erzählt und Vögel, die singen.

Nadine Stair, 85 Jahre, Louisville, Kentucky

Ich habe mich geärgert. Über unterschiedliche Sichtweisen. Über unterschiedliche Eigen- und Fremdwahrnehmung. Über mich selbst. Ich arbeite an „meinen Momenten“. Ich will achtsamer mit mir sein. Ich will die Dinge weniger ernst nehmen.