Schlagwort-Archive: Gesellschaft

Und am Freitag sauf ich mir den Kragen zu …

Ich versuche stets, mich in Andersdenkende hineinzuversetzen. Das bin ich ihnen schuldig. Das gehört sich so. Nur so ist meiner Meinung nach ein friedliches, verständnisvolles Miteinander möglich. Meistens klappt’s auch. Und doch treffe ich immer wieder auf Leute, da kann ich mich auch noch so sehr anstrengen, ich schaffe es einfach nicht.

Neulich, an einem Ort irgendwo, wurde ich Zeugin eines Gesprächs, dem ich bereits nach kurzer Zeit nicht mehr folgen konnte. Es wurden Berechnungen angestellt, wie viel Liter alkoholischer Getränke pro Kopf an einem Abend getrunken wurden. Puh, bei den Mengen, die dort genannt wurden, schwindelte es mir. Aber ganz gewaltig. Da muss der eine oder andere nahezu einen komatösen Zustand erreicht haben. Jedem das Seine. Aber unbegreiflich ist für mich, wie ein erwachsener Mensch mit stolzgeschwellter Brust damit prahlen kann, wie viel Alkohol er in sich hinein geschüttet hat und wie „hackedicht“ er war. Selbst das Leiden nach dem Besäufnis wurde lautstark beschrieben. Hört es auch jeder? Kriegt es jeder mit? Boah, was für ein Kerl. Und doch war es mir nicht möglich, voller Hochachtung zu ihm aufzublicken. Nö, da habe ich eine andere Vorstellung von bewundernswerten Eigenschaften. Na ja, ich muss ja auch nicht alles verstehen. Wenn’s Spaß macht … bitteschön. Aber ohne mich.

In diesem Sinne sag‘ ich Prösterchen und genieße mit euch ein Gläschen was auch immer.

Und ewig locken weiße Socken

Also, ich bin froh, dass dieser Sommer bald vorüber ist. Ich hab’s nämlich nicht so mit den Extremen: extrem hohe Temperaturen (ab 27 Grad Celsius ist für mich extrem), extrem lästige Mückenangriffe, extrem angriffslustige Wespen und – da wären wir dann beim Thema – extrem schlecht gekleidete Männer. Die werden von Jahr zu Jahr immer mutiger mit ihren Outfits. Immer unansehnlicher für mich. Die Frauen (ja, ja, leider gibt es auch unter ihnen in dieser Hinsicht durchaus erwähnenswerte Exemplare) werde ich heute außer Acht lassen, sonst würde mein Text den mir auferlegten Zeilenrahmen sprengen.

Man schließe die Augen und stelle sich folgendes Bild vor:
Es ist heiß. Die Sonne brennt. Wegen des gleißenden Lichts hältst du deinen Blick gesenkt. Und dann kommt etwas auf dich zu (die passende akkustische Untermalung wäre hier die Filmmusik aus Der weiße Hai. Psycho würde auch passen). Braune Trecking-Sandalen. In ihnen stecken weißbestrumpfte Füße. Der Übergang von Socke zu Bein ist farblich kaum zu erkennen. Indiz: Lange schwarze Haare, die bekanntlich nicht aus Socken wachsen. Dann, knapp über den o-förmigen Waden, braun-grün-rot-karierte Cargo-Bermudas. Extra weit. Jedoch nicht der Beine wegen. Das wird einem klar, wenn man den Mut besitzt, den Blick weiter nach oben wandern zu lassen. Ein Kürbis 3XL im Feinripp-Unterhemd wölbt sich über den Hosenbund, gehalten von einem Koppelgürtel in Tarnfarben. Ein blau-beige-ebenfalls-kariertes Hemd flattert munter um die Kugel. Noch ein Stück weiter oben quellen schwarze Brusthaare borstig gelockt aus dem Unterhemd. Ein feingliedriges Goldkettchen ziert den kräftigen Hals, der fast konturlos in einem unrasierten Gesicht endet. Auf dem Kopf ein weißes Base-Cap mit der Aufschrift C&A.

Ein Bild von einem Mann, nur eben kein schmeichelhaftes. Geschmacklosigkeit kennt halt keine Grenzen. Und doch: Dieser Kleidungsstil hat sicherlich auch Vorteile. Man(n) kann zum Beispiel Bier trinkend oder rülpsend über die Straße gehen. Niemanden wird’s wundern. Kaum einer wird Anstoß daran nehmen. Passt halt. Gleichgesinnte erkennen sich sofort, die Interessenlage (Camping auf Malle, Fußball, Bier) muss gar nicht erst abgeklärt werden. Wahrscheinlich gibt es noch einige Vorteile mehr. Kenne ich aber nicht. Will ich auch gar nicht kennen.

Ich will nur eins: Dass dieser Sommer bald vorüber ist.

 

Der Nächste bitte …

Geht es mir eigentlich alleine so? Oder fragen sich auch andere Menschen, ob die Termin- und Medikamentenüberwachungsdamen in den Arztpraxen die Patienten für blöde halten? Ich für meinen Teil kann da schon mal ziemlich zickig werden, wenn ich zum Beispiel ein neues Ergotherapie-Rezept für meinen Gatten besorgen will (er ist Dauerpatient) seit nunmehr neun Jahren) und ich immer wieder aufs Neue Fragen über Fragen beantworten und schriftliche Nachweise einreichen soll, die bereits vorliegen. Halleluja, es lebe das bürokratische Gesundheitssystem. Obwohl – von Gesundheit kann man hier wohl kaum sprechen. Diese ewigen Diskussionen können durchaus krank machen. Mich zumindest.

Doch manchmal bekommt man Beispiele vor Augen geführt, die ein gewisses Verständnis für die Gegenseite aufflackern lassen.
Neulich im Wartebereich der Nuklearmedizin: Ich war etwas zu früh und so bot sich mir die Gelegenheit, das Treiben an der Anmeldung zu beobachten.

Dialog Nummer 1:
„Haben Sie eine Überweisung?“
„Nö, so was habe ich doch abgegeben, als ich das letzte Mal hier war.“
„Das war letztes Jahr.“
„Na und?“

Dialog Nummer 2:
„Ihre Versichertenkarte bitte.“
„Wieso? Ich habe doch eine Überweisung.“

Dialog Nummer 3:
„Ich bräuchte dann bitte noch Ihre Versichertenkarte und die Überweisung.“
„Hab ich nicht.“
„Wer schickt sie denn?“
„Der Doktor.“
„Welcher? Wie heißt denn der Arzt?“
„Weiß ich nicht. Der auf der Musterstraße.“

Dialog Nummer 4:
„Auf der Überweisung steht gar nicht, was gemacht werden soll.“
„Ich soll geröntgt werden.“
„Was denn?“

„Was tut Ihnen denn weh?“
„Alles.“

Holla, die Waldfee. Meine Bewunderung für die nicht enden wollende Geduld der Rezeptionsdamen stieg ins Unermessliche. So wurden Lesebrillen ausgegeben und einer Dame mindestens fünf Mal erklärt, wohin sie gehen musste. Und das in einer Lautstärke, die jeden anderen im Wartebereich zusammenschrecken ließ. War anders wohl nicht möglich.

Nun, wenn das Standard in deutschen Arztpraxen ist, dann kann ich vielleicht – ab und zu – wenn mir danach ist, etwas gelassener mit überflüssigen Fragen umgehen.

 

Süßes Nichtstun

Wann war das? Kann sich jemand erinnern? Weiß das jemand noch? Wann genau geriet die Ruhe in Verruf?

Viele schaffen es nicht, sich zu langweilen. Oder schlimmer noch: Sie wollen es gar nicht. Zu groß ist die Angst, gesellschaftlich auf dem Gleis der ewigen Langweiler und Spießer abgestellt zu werden. Und so wird immer noch ein Schippchen draufgepackt.
Das fängt heutzutage schon im zarten Kindesalter an. Nach der Schule: Montags zum Sport (vornehmlich die Jungs zum Fußball, die Mädchen zum Ballett – es lebe das Rollenklischee), dienstags zur Musikschule, mittwochs Nachhilfe (das Kind hat ja so wenig Zeit zum Lernen), donnerstags kreatives Mutter-und-Kind-Malen, freitags Therapie usw.
Und die Erwachsenen? Neben Beruf, Haushalt, Kindererziehung (obwohl ich die an dieser Stelle einmal vorsichtig in Frage stelle) muss mindestens zweimal wöchentlich Sport getrieben werden (weil ja so gesund). Hier eine Ausstellung (schließlich ist man ja ein Mensch mit Niveau), da eine Party (der Kontakte wegen), Shoppen im neuen Einkaufszentrum, ein VHS-Kurs sollte auch noch drin sein. Dank der heutigen Technik ist man ja schließlich immer auf dem Laufenden und für alles und jeden allzeit erreichbar.

Selbst im Urlaub. Die meisten Familien können sich glücklich schätzen, wenn sie den Stress der Urlaubsvorbereitungen überstehen und sich nicht bereits vor der „schönsten Zeit des Jahres“ die Köpfe eingeschlagen haben (Beispiele gibt es in meiner Umgebung mehr als genug). Da quält man sich von einem Stau in den anderen oder riskiert Gepäckverlust, Thrombose oder – schlimmer noch – einen suizidgefährdeten Copiloten, um dann (hoffentlich) endgültig urlaubsreif an den Ort der Träume zu gelangen. Man hetzt von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit, folgt scheinbar begeistert den Anweisungen der Animateure (das Risiko erkannt zu werden ist recht gering), nimmt jede Pool-Party mit (nach dem Urlaub muss der Alkoholkonsum unbedingt reduziert werden). Und das Hamsterrad dreht sich immer weiter.

Der Mut zur Langeweile ist irgendwo auf der Strecke geblieben. Und schlimmer noch: Die Fähigkeit, Langeweile, Muße und Ruhe zu genießen, haben heute nur noch wenige.

Schön, dass ich den Mut habe. Wenigstens ab und zu einmal. Denn für mich gibt es keine schönere Freizeitbeschäftigung, als dem süßen Nichtstun zu verfallen, den Wolken nachzuhängen und dem Wind zu lauschen. Aber heute werde ich zuerst einmal noch etwas arbeiten bevor ich mich der Bügelwäsche widme, damit ich das morgen, wenn ich wieder arbeiten muss, erledigt habe …

Ach – alle sind gegen mich …

Wer kennt sie nicht, diese ewigen Opfer? Die Betrogenen? Die vom Leben Gebeutelten? Die ständig Gemobbten und ewig Belogenen?

Schuld sind immer die anderen. Der Chef, der einfach zu viel verlangt. Der Arzt, der viel zu inkompetent ist. Der Nachbar, der nie Rücksicht nimmt. Der Partner, der nicht mitfühlend ist. Der Freund, der kein Verständnis hat. Die Eltern, die Kollegen, die Schwiegermutter, der Tankwart, die Verkäuferin und noch viele andere mehr.

Gekränkt ziehen sie sich zurück. Diese armen Menschen. Schmollend und beleidigt. Sie können doch wirklich nichts dafür.

Puh, manchmal ist mir das einfach zu viel. Und es langweilt mich. Manchmal geht es mir sogar gewaltig auf die Nerven. Zugegeben, es ist weitaus weniger anstrengend, wenn man die Verantwortung auf andere abwälzen kann. Und ich gestehe, dass auch ich oftmals versucht bin, den bequemeren Weg zu gehen. Dann heißt es nur: Blöder Chef, blöder Nachbar, blöder Freund … und Punkt. Alle sind so gemein zu mir, ich armes Hascherl. Ausrufungszeichen.  –
Da bin ich doch fein raus aus der Nummer.

Doch ich kann andere Menschen nicht ändern. Allerdings kann ich sehr wohl mich selbst ändern, in mich gehen, an mir arbeiten.

Denn: Hat nicht jede Sache, jede Situation zwei Seiten? Sollte man sich nicht lieber fragen, warum man sich betrogen, belogen, gekränkt – also als Opfer fühlt? So ganz ehrlich einmal Aktion und Reaktion hinterfragen? Reflektieren?

Ja ja, ich weiß, das ist natürlich nicht ganz so einfach. Denn, wer ehrlich zu sich selbst ist, wird genau dann erkennen, dass man oftmals gar nicht so unschuldig ist, wie man sein Umfeld gerne glauben lassen will. Das müsste man dann sogar im Zweifelsfall zugeben. Und ja: Die eigenen Gefühle, insbesondere die Kränkung zu hinterfragen, kann zu Antworten führen, die ziemlich unangenehm sein können. Nun, man muss sie ja niemanden verraten.  Aber wenn man sich dem stellt, dann kann man mit vielem abschließen, gelassen sein und seinen inneren Frieden finden.

 

Advent Advent …

So, jetzt ist bei einem Weihnachtsmuffel auch der Advent eingekehrt. Die Wohnung wurde spartanisch dekoriert. Bloß nicht zu bunt, auf keinen Fall zu viel. Die ersten Schneeflocken tanzen vor dem Fenster. Auch das noch!

Die aggressive Vorweihnachtshektik ist mittlerweile auf allen Straßen und in allen Geschäften spürbar. Im Rausch des Konsums wird gerempelt, geschoben, geschimpft … Bedürftigkeit wird übersehen. Man kann sich ja schließlich nicht um alles kümmern.  Na, dann – besinnliche Weihnachtszeit!

Da zünde ich mir lieber eine Kerze an, mümmele mich mit meiner Rotznase in eine Decke, schlürfe Tee und nasche Lebkuchen. Punkt.

Och, eigentlich ist der Advent doch ganz nett …

Ich brauche kein Halloween …

um mich zu gruseln. Ehrlich nicht. Aber es geschah an Halloween …

Tatzeit: 21.15 Uhr

Tatort: Die eigene Haustür.

Tathergang: Es klingelte Sturm. Hörte gar nicht mehr auf. Kater Tristan floh voller Panik ins Schlafzimmer unter das Bett (und war dort mindestens für die nächste Stunde verschwunden). Mein Schatz jammerte „Mein Kopf“ und hielt sich den selbigen. Es dauert halt, bis ich meine Hausschlappen unter dem Sessel hervorgefischt, hineingeschlüpft und zur Haustür geeilt bin. Wer in aller Welt klingelt um diese Uhrzeit Sturm? Brennt es? Hat die Nachbarin einen Herzinfarkt? Ein Unfall? Keineswegs …
Als ich die Haustür erreichte, hatte bereits der Sohn unserer Nachbarin geöffnet und eine erhitzte Diskussion war im Gange.

Was ich sah: Drei Kinder – schätzungsweise im Kindergartenalter. Bekleidet mit Jeans, Turnschuhen und Anorak. Also definitiv keine Monster. Weiterhin zwei Mütter in den frühen Zwanzigern. Bekleidet in Minirock, Anorak, Stiefel, blond gefärbt. Eher schon monstermäßig …

Was ich hörte: „Ey, du packst mein Kind nich an … is schließlich Halloween … biste doof oder was, wennste das nich weiß, ey …“

Der junge Mann – ein anständiger, lieber Kerl – war sichtlich überfordert. Erst recht, als Monstermutti ihn in der Form tätlich angriff, als sie ihn am Arm griff und schüttelte.

Ich (ziemlich laut und bestimmt): „Was ist hier los? Was soll die Sturmklingelei?“

Monstermutti: „Der hat mein Kind angepackt.“

Ich: „Ihr Kind gehört um diese Uhrzeit ins Bett.“

Monstermutti: „Ey, hörste nich gut, der hat mein Kind angepackt.“ (Übrigens ist das etwas, was ich überhaupt nicht glaube. Er hat wahrscheinlich nur den kleinen Scheißer von der Klingel weggejagt.)

Ich: “ Und Sie sollten Ihr Kind vernünftig erziehen und es nicht Sturm klingeln lassen.“

Monstermutti: „Scheiß Deutsche.“

Ich: „Verlassen Sie sofort unser Grundstück.“

Monstermutti: „Typ, ey, isch weiß wo du wohnst.“

Ich schnappte mir den jungen Mann, schob ihn ins Haus und schloss die Tür. Wir blieben noch eine Weile im Treppenhaus. Die Monstertruppe zog ab. Wohin auch immer. Aus der Nachbarschaft waren diese Leute auf jeden Fall nicht. Mir zitterten die Knie. Ich glaube, ihm auch.

Nee, Leute, wenn das Halloween ist – na, danke. Da lob‘ ich mir St. Martin. Da freu‘ ich mich, wenn die Kleinen singen kommen. Ich singe dann auch gerne mit …

Manchmal kann ich mich nur wundern

Kennt Ihr „Die Wand“ von Marlen Haushofer? Das Buch? Und vielleicht auch den Film? (Der lief übrigens am vergangenen Montag auf arte. Vielleicht hat ihn ja jemand gesehen.)  Ich habe hier im Blog auch schon einmal über das Buch geschrieben.

Derzeit wird in einer Schreibwerkstatt über dieses Buch / diesen Film diskutiert. Fragen werden aufgeworfen, es wird ein gewisses Unverständnis für die Story und für das Handeln der Protagonistin kundgetan: Wieso wurde die Wand nicht mehr erforscht? Warum versuchte die Protagonistin nicht Papier herzustellen, damit sie ihren Bericht weiter fortführen konnte? Etc.

Ich bin oftmals erstaunt darüber, wie mundgerecht manche LeserInnen jedes Handeln der Figuren erklärt wissen wollen. Aber – kann wirklich alles erklärt werden? Muss wirklich alles erklärt werden? Gilt es nicht vielmehr, sich in die Figur hineinzuversetzen? Zugegeben, das ist nicht jedermanns Sache. Fällt gerade das vielen Menschen auch im wirklichen Leben recht schwer. Das mit dem Hineinversetzen meine ich.

So wundere ich mich darüber, dass psychosomatische Erkrankungen vorausgesetzt werden, um ein solches Buch zu schreiben. Wie käme man sonst auf solch eine Geschichte? Tja, das rückt die Literatur für mich in ein ganz neues Licht. Danach muss Steven King völlig krank sein , auch Michael Kumpfmüller mit seinem Buch „Durst“, auf jeden Fall Murakami mit seinem Hang Traum und Wirklichkeit verschwimmen zu lassen, Paulo Coelho – nun ja, der hat schließlich eine Zeit in der Psychiatrie verbracht -, und Mo Yan, der völlig abgedrehte Geschichten schreibt, muss dann unbedingt auch in diese Lade hinein … Es gibt sicherlich noch genügend andere Beispiele, die mir jetzt spontan nicht einfallen wollen. Und: Entspringen meine eigenen Geschichten vielleicht auch einem kranken Hirn?

Aber: Ist es nicht vielmehr so, dass am Anfang immer die Frage „Was wäre, wenn …“ steht? Was wäre also, wenn man plötzlich ganz alleine auf der Welt ist? Ist in „Die Wand“ nicht die Zentralfrage, wie stark der Überlebenswille des Menschen an sich ausgeprägt ist? Wie schnell oder wie überhaupt ist der Mensch in der Lage, sich der gegebenen Situation anzupassen? Wird man nicht wieder zu dem, was wirklich zählt, zurückgeführt?
Ist es also nicht vielmehr so, dass uns diese Geschichte von Marlen Haushofer die Augen öffnen sollte und uns darauf besinnen lässt, was wirklich wichtig im Leben ist?

Wie dem auch sei, ich habe mich an der Diskussion nicht beteiligt. Diese kleine Episode sei nur beispielhaft für einige Buchbesprechungen erwähnt, die ich erlebt habe. Denn es geht hier eigentlich nicht um Marlen Haushofers Roman. Er soll nur stellvertretend für immer wiederkehrende und gleichablaufende Literaturdiskussionen stehen, über die ich mich in der Vergangenheit oft gewundert habe.

Nun, meine Devise lautet: „Je mehr unterschiedliche Ansichten eine Geschichte zum Vorschein bringt, je mehr darüber diskutiert wird, desto besser ist das Buch.“
Denn: Soll nicht gerade das die Literatur bewirken? Was nützen mir all die schönen Geschichten, die alle toll finden, in denen alle Fragen geklärt werden und keine Diskussion mehr möglich ist? Solche Geschichten vergesse ich in der Regel sehr schnell wieder. Sie bleiben nicht haften, lösen nichts in mir aus, machen nichts mit mir.

Aber auch das sei hier klargestellt: Es ist ganz allein meine Ansicht über die Literatur. Denn eines habe ich aus diesen Diskussionen gelernt: Ein jeder Leser hat einen ganz eigenen Anspruch an die Geschichten.

Generationen

Martha denkt nach. Über ihr Leben. Wie es bis heute verlaufen ist. Sie fühlt sich oft alleine. Ihre Gesundheit lässt keine großen Unternehmungen zu.
Sie sagt: „Du musst dich nicht um mich kümmern.“
Sie denkt: „Du besuchst mich so selten.“

Claudia denkt nach. Über ihr Leben. Wie es bis heute verlaufen ist. Sie fühlt sich oft überfordert. Ihr größter Feind ist ihr schlechtes Gewissen.
Sie sagt:“ Ich muss zur Arbeit.“
Sie denkt: „Wie soll ich das alles nur schaffen?“

Martha denkt nach. Früher war alles anders. Früher war alles besser. Die Kinder waren noch klein. Die Familie war stets zusammen.
Sie sagt: „Alt sein ist nicht schön.“
Sie denkt: „Nie hast du Zeit für mich.“

Claudia denkt nach. Eine Pflicht folgt der nächsten. Kümmern muss sie sich.
Sie sagt: „Ich werde mich anders organisieren.“
Sie denkt: „Ich muss mein Hobby einschränken … oder aufgeben.“

Martha fühlt sich nicht wohl. Sie sehnt sich nach Zuwendung. Will nicht immer erwachsen sein. Braucht Verständnis und Liebe.

Claudia fühlt sich nicht wohl. Sie sehnt sich nach mehr freier Zeit. Will nicht immer vernünftig sein. Braucht Verständnis und Liebe.

Nostalgisches

Ich sage nicht, dass früher alles besser war. Also ehrlich, wer braucht heute noch Schulterpolster, Tonbandkassetten mit vorprogrammiertem Bandsalat, Telefone mit Drehwählscheibe, hinter dem man ein Endloskabel durch die Wohnung zog, während man telefonierte. Wie schrecklich war es an der Autotür das Knöpfchen zu drücken, die selbige dann zuzuwerfen, um danach mit Schrecken festzustellen, dass der Schlüssel noch im Zündschloss steckte? Wer mag heute schon noch orange-braun gemusterte Tapeten? Auf die Hitparade kann ich ebenso verzichten, wie auf Polyester-Pullover. Obwohl … Gibt es die nicht heute auch noch? Die Polyester-Pullover meine ich. Egal!

Manches war aber auch ganz nett. Fernsehansagerinnen zum Beispiel. Oder die Geschichten von Ute, Schnute, Kasimir in den Werbepausen. Der Tankwart, der herbeigeeilt kam, um das Auto zu betanken – weil es zum Service gehörte – und gleich die Windschutzscheibe reinigte. Ganz Eifrige prüften dann auch noch den Reifendruck. Tja, selbst Telefonhäuschen mochte ich. Und, dass man sich für diverse Anlässe fein machte. So richtig fein. Na ja, manchmal war es auch ziemlich unbequem. Aber fein! Was habe ich mich gefreut, als die gute alte A*hoi-Brause wieder reanimiert wurde. Eine ganze Maschinerie Erinnerungen ist da in Gang gesetzt worden. Toll!

Und nun weiß ich auch, was ich mir über kurz oder lang wieder anschaffen werde: Einen richtig tollen nostalgischen Wasserkessel. So einen mit Flötenaufsatz. Also, so einen Flötenkessel. Denn wenn der Pfiff des Kessels sagt, dass das Wasser kocht, das hat doch wirklich etwas ganz Nostalgisches, oder?!