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Manchmal kann ich mich nur wundern

Kennt Ihr „Die Wand“ von Marlen Haushofer? Das Buch? Und vielleicht auch den Film? (Der lief übrigens am vergangenen Montag auf arte. Vielleicht hat ihn ja jemand gesehen.)  Ich habe hier im Blog auch schon einmal über das Buch geschrieben.

Derzeit wird in einer Schreibwerkstatt über dieses Buch / diesen Film diskutiert. Fragen werden aufgeworfen, es wird ein gewisses Unverständnis für die Story und für das Handeln der Protagonistin kundgetan: Wieso wurde die Wand nicht mehr erforscht? Warum versuchte die Protagonistin nicht Papier herzustellen, damit sie ihren Bericht weiter fortführen konnte? Etc.

Ich bin oftmals erstaunt darüber, wie mundgerecht manche LeserInnen jedes Handeln der Figuren erklärt wissen wollen. Aber – kann wirklich alles erklärt werden? Muss wirklich alles erklärt werden? Gilt es nicht vielmehr, sich in die Figur hineinzuversetzen? Zugegeben, das ist nicht jedermanns Sache. Fällt gerade das vielen Menschen auch im wirklichen Leben recht schwer. Das mit dem Hineinversetzen meine ich.

So wundere ich mich darüber, dass psychosomatische Erkrankungen vorausgesetzt werden, um ein solches Buch zu schreiben. Wie käme man sonst auf solch eine Geschichte? Tja, das rückt die Literatur für mich in ein ganz neues Licht. Danach muss Steven King völlig krank sein , auch Michael Kumpfmüller mit seinem Buch „Durst“, auf jeden Fall Murakami mit seinem Hang Traum und Wirklichkeit verschwimmen zu lassen, Paulo Coelho – nun ja, der hat schließlich eine Zeit in der Psychiatrie verbracht -, und Mo Yan, der völlig abgedrehte Geschichten schreibt, muss dann unbedingt auch in diese Lade hinein … Es gibt sicherlich noch genügend andere Beispiele, die mir jetzt spontan nicht einfallen wollen. Und: Entspringen meine eigenen Geschichten vielleicht auch einem kranken Hirn?

Aber: Ist es nicht vielmehr so, dass am Anfang immer die Frage „Was wäre, wenn …“ steht? Was wäre also, wenn man plötzlich ganz alleine auf der Welt ist? Ist in „Die Wand“ nicht die Zentralfrage, wie stark der Überlebenswille des Menschen an sich ausgeprägt ist? Wie schnell oder wie überhaupt ist der Mensch in der Lage, sich der gegebenen Situation anzupassen? Wird man nicht wieder zu dem, was wirklich zählt, zurückgeführt?
Ist es also nicht vielmehr so, dass uns diese Geschichte von Marlen Haushofer die Augen öffnen sollte und uns darauf besinnen lässt, was wirklich wichtig im Leben ist?

Wie dem auch sei, ich habe mich an der Diskussion nicht beteiligt. Diese kleine Episode sei nur beispielhaft für einige Buchbesprechungen erwähnt, die ich erlebt habe. Denn es geht hier eigentlich nicht um Marlen Haushofers Roman. Er soll nur stellvertretend für immer wiederkehrende und gleichablaufende Literaturdiskussionen stehen, über die ich mich in der Vergangenheit oft gewundert habe.

Nun, meine Devise lautet: „Je mehr unterschiedliche Ansichten eine Geschichte zum Vorschein bringt, je mehr darüber diskutiert wird, desto besser ist das Buch.“
Denn: Soll nicht gerade das die Literatur bewirken? Was nützen mir all die schönen Geschichten, die alle toll finden, in denen alle Fragen geklärt werden und keine Diskussion mehr möglich ist? Solche Geschichten vergesse ich in der Regel sehr schnell wieder. Sie bleiben nicht haften, lösen nichts in mir aus, machen nichts mit mir.

Aber auch das sei hier klargestellt: Es ist ganz allein meine Ansicht über die Literatur. Denn eines habe ich aus diesen Diskussionen gelernt: Ein jeder Leser hat einen ganz eigenen Anspruch an die Geschichten.