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Sonntagsgedanken

Tristan April 2014 I

Kater Tristan liegt auf meinem Schoß während ich versuche, einen Text zu verfassen. Das Gedankenkarussell dreht sich und ich denke an dieses, an jenes aber eigentlich an gar nichts. Viel mehr lausche ich dem wohligen und immer lauter werdenden Schnurren meines vierbeinigen Mitbewohners. Beim Einatmen ist die Tonlage etwas höher als beim Ausatmen, aber sein Körper vibriert bei jedem Atemzug und das gleichmäßige Schnurren lässt auch mich tiefer und gleichmäßiger atmen. Aber zurück zum Text. Zurück zu meinen Gedanken. Warum nur häufen sich am Jahresende all die Dinge, die noch zu erledigen sind? Ich versuche, Ordnung in die nächsten Wochen zu bekommen. Ich denke nach, verschiebe im Geiste bereits bestehende Termine, organisiere meine knapp bemessene Freizeit … obwohl – kann ich überhaupt von Freizeit sprechen, wenn ich doch so viel zu erledigen habe? Fristen einhalten muss? Darum kämpfen muss, dass auch meine Verhandlungspartner nicht allzu lange für die Erledigung brauchen? So ganz nebenbei erwartet mich derzeit jede Menge Arbeit im Büro, die ein oder andere Überstunde wird fällig.  Ich kraule Kater Tristan hinter den Ohren und dann am Hals. Er streckt sich und liegt mittlerweile wie ein Baby in meinem Arm, so dass ich nur noch mit einer Hand tippen kann. Seine Pfote streichelt meine Wange. Und wenn ich mit dem Kraulen kurz innehalte, stuppst er mit der Nase meine Hand an. Nicht aufhören, weiter, nur weitermachen. Ich lächle und die Sorgen um all die unerledigten Dinge sind nicht wichtig. Irgendwie schaffe ich das schon. Irgendwie. Doch heute ist Sonntag und Kater Tristan genießt es, dass ich zu Hause bin. Er dankt es mir mit seiner Anhänglichkeit, die so beruhigend auf mich wirkt.
Er ist wirklich eine Therapiekatze – nicht nur für meinen Mann, auch für mich.

Ich brauche kein Halloween …

um mich zu gruseln. Ehrlich nicht. Aber es geschah an Halloween …

Tatzeit: 21.15 Uhr

Tatort: Die eigene Haustür.

Tathergang: Es klingelte Sturm. Hörte gar nicht mehr auf. Kater Tristan floh voller Panik ins Schlafzimmer unter das Bett (und war dort mindestens für die nächste Stunde verschwunden). Mein Schatz jammerte „Mein Kopf“ und hielt sich den selbigen. Es dauert halt, bis ich meine Hausschlappen unter dem Sessel hervorgefischt, hineingeschlüpft und zur Haustür geeilt bin. Wer in aller Welt klingelt um diese Uhrzeit Sturm? Brennt es? Hat die Nachbarin einen Herzinfarkt? Ein Unfall? Keineswegs …
Als ich die Haustür erreichte, hatte bereits der Sohn unserer Nachbarin geöffnet und eine erhitzte Diskussion war im Gange.

Was ich sah: Drei Kinder – schätzungsweise im Kindergartenalter. Bekleidet mit Jeans, Turnschuhen und Anorak. Also definitiv keine Monster. Weiterhin zwei Mütter in den frühen Zwanzigern. Bekleidet in Minirock, Anorak, Stiefel, blond gefärbt. Eher schon monstermäßig …

Was ich hörte: „Ey, du packst mein Kind nich an … is schließlich Halloween … biste doof oder was, wennste das nich weiß, ey …“

Der junge Mann – ein anständiger, lieber Kerl – war sichtlich überfordert. Erst recht, als Monstermutti ihn in der Form tätlich angriff, als sie ihn am Arm griff und schüttelte.

Ich (ziemlich laut und bestimmt): „Was ist hier los? Was soll die Sturmklingelei?“

Monstermutti: „Der hat mein Kind angepackt.“

Ich: „Ihr Kind gehört um diese Uhrzeit ins Bett.“

Monstermutti: „Ey, hörste nich gut, der hat mein Kind angepackt.“ (Übrigens ist das etwas, was ich überhaupt nicht glaube. Er hat wahrscheinlich nur den kleinen Scheißer von der Klingel weggejagt.)

Ich: “ Und Sie sollten Ihr Kind vernünftig erziehen und es nicht Sturm klingeln lassen.“

Monstermutti: „Scheiß Deutsche.“

Ich: „Verlassen Sie sofort unser Grundstück.“

Monstermutti: „Typ, ey, isch weiß wo du wohnst.“

Ich schnappte mir den jungen Mann, schob ihn ins Haus und schloss die Tür. Wir blieben noch eine Weile im Treppenhaus. Die Monstertruppe zog ab. Wohin auch immer. Aus der Nachbarschaft waren diese Leute auf jeden Fall nicht. Mir zitterten die Knie. Ich glaube, ihm auch.

Nee, Leute, wenn das Halloween ist – na, danke. Da lob‘ ich mir St. Martin. Da freu‘ ich mich, wenn die Kleinen singen kommen. Ich singe dann auch gerne mit …

Generationen

Martha denkt nach. Über ihr Leben. Wie es bis heute verlaufen ist. Sie fühlt sich oft alleine. Ihre Gesundheit lässt keine großen Unternehmungen zu.
Sie sagt: „Du musst dich nicht um mich kümmern.“
Sie denkt: „Du besuchst mich so selten.“

Claudia denkt nach. Über ihr Leben. Wie es bis heute verlaufen ist. Sie fühlt sich oft überfordert. Ihr größter Feind ist ihr schlechtes Gewissen.
Sie sagt:“ Ich muss zur Arbeit.“
Sie denkt: „Wie soll ich das alles nur schaffen?“

Martha denkt nach. Früher war alles anders. Früher war alles besser. Die Kinder waren noch klein. Die Familie war stets zusammen.
Sie sagt: „Alt sein ist nicht schön.“
Sie denkt: „Nie hast du Zeit für mich.“

Claudia denkt nach. Eine Pflicht folgt der nächsten. Kümmern muss sie sich.
Sie sagt: „Ich werde mich anders organisieren.“
Sie denkt: „Ich muss mein Hobby einschränken … oder aufgeben.“

Martha fühlt sich nicht wohl. Sie sehnt sich nach Zuwendung. Will nicht immer erwachsen sein. Braucht Verständnis und Liebe.

Claudia fühlt sich nicht wohl. Sie sehnt sich nach mehr freier Zeit. Will nicht immer vernünftig sein. Braucht Verständnis und Liebe.

Sie tanzen wieder …

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Ein herzliches Dankeschön an alle Daumendrücker!

Wie es war?

Herzklopfen. Ein kurzer, aber heftiger Stich in der Herzgegend. Schwindelgefühle. Ein dumpfes Pochen in den Schläfen. Ob ich rotgesichtig bin? Zumindest fühlt es sich so an. Schon wieder drückt die Blase. Ich ignoriere es. Mir ist heiß, meine Hände rastlos. Greifen, piddeln, knibbeln, kratzen, ringen, halten … Schmerzen. Der Unterleib verkrampft.

Warten! Da sitze ich mit meinem Heft, mache Notizen, während sich die Injektionsnadel für das Kontrastmittel in seinen Arm bohrt. Beschreibe schwindelnd wirr meine Gefühle während Schicht für Schicht sein Gehirn durchleuchtet wird.
Eine Sekunde dauert an, sechzigfach.
Eine Minute dauert an, sechzigfach.

Schon wieder dieser Schwindel, schon wieder dieser Stich in meinem Herzen. Für einen Moment schließe ich die Augen, atme tief durch. Sauge die Gerüche der Radiologie in mich auf. Erahne das Aroma von Nervosität und Angst. Nein, wir sind nicht der Nabel der Welt. Unbekannte Schicksale umgeben mich. Ich habe mir die Haut an meinem rechten Daumen schmerzhaft abgeknibbelt. Es wird ein paar Tage dauern, bis es endgültig wieder verheilt ist.

Es herrscht ein Kommen und Gehen. Es ist eine große, moderne Praxis. Wir sind bekannt. Das Klopfen in meinen Schläfen nimmt zu. Beginnender Kopfschmerz. Ich muss meinen Kiefer entspannen. Locker lassen.

Warten! Grausames Warten. Nein, es gab schon grausameres Warten.

Warten!

Und dann … endlich … die erlösenden Worte: keine Veränderung.

Der Fahrscheinautomat

Wie lange ich bereits hier stehe, dass weiß ich nicht. Fahrscheinautomaten haben kein Zeitgefühl. Aus diesem Grund muss die Uhrzeit, die auf die Fahrscheine gedruckt wird, immer wieder korrigiert werden. Uhrzeiten sind mir egal. Stehe ich doch zu jeder Tages- und Nachtzeit auf diesem gottverlassenen Bahnsteig. Viele Züge fahren hier nicht. Eine S-Bahnlinie und ein Regionalzug. Ansonsten irgendwelche Güterzüge, die eh nicht hier halten.

Menschen, die hier regelmäßig in eine S-Bahn oder in einen Zug steigen, beachten mich nicht. Ziemlich unhöflich, wie ich finde. Gerade sie sehen mich doch jeden Tag. Obwohl … sehen sie mich wirklich? Nun ja, ist ja auch egal. Diejenigen, die mich mit Geld füttern, erhalten von mir einen entsprechenden Fahrschein. Doch meistens stellen sich diese Leute ziemlich unbeholfen an. Dabei sage ich ihnen doch Schritt für Schritt, was sie tun müssen. Aber nein – sie drücken wild und ungeduldig an mir herum. Manche reden auch mit mir. Allerdings könnten sie das auch sein lassen. Ich werde doch meistens nur wüst beschimpft.

Vor den Nächten fürchte ich mich am meisten. Es ist schon mehr als einmal vorgekommen, dass man mir Böses wollte. Mit Brechstangen und sonstigen gefährlichen Werkzeugen ist man mir zu Leibe gerückt. Aufgeschlitzt haben sie mich, in meinen Eingeweiden herumgewühlt, um das Geld in meinem Innern zu stehlen. Oft blieben meine Verletzungen tagelang unbemerkt, bis dieser freundliche Mensch kam, um mich zu reparieren.
Da bin ich wahrlich kein Held. Sobald es dunkel wird, schließe ich meine Augen und hoffe auf eine ruhige Nacht.

Einmal musste ich einen Überfall erleben. Ich wollte Hilfe holen. Doch da wurde mir bewusst, dass ich mich nicht bewegen konnte. Regungslos stand ich da und konnte mich keinen Millimeter rühren. Hilflos musste ich mit ansehen, wie dieser junge Mensch von seinen Angreifern niedergeschlagen und ausgeraubt wurde. Nur gut, dass sie ihm nicht auch den Bauch aufgehebelt haben. Denn eines habe ich gelernt: Bei Menschen ist so eine Reparatur weitaus schwieriger als bei einem Fahrscheinautomaten.

Neulich hat ein Mensch die ganze Nacht zu meinen Füßen gelegen und seltsame Geräusche gemacht. Das war mir ein wenig unangenehm, aber irgendwie habe ich mich sicherer gefühlt. Nicht so allein. Und insgeheim hatte ich gehofft, dass er in der folgenden Nacht wiederkommen würde. Tat er aber nicht. Schade.

Nein, ich führe kein besonders schönes Leben, auch wenn das manch einer denkt. Ich beneide die Fahrscheinautomaten auf den großen Bahnhöfen. Die sind wenigstens nicht so alleine.

Aber ich bin in die Jahre gekommen. Es gibt bereits leistungsstärkere Automaten als mich. So kann ich darauf hoffen, dass ich bald abgelöst werde. Das wäre wirklich schön …

Selbstzweifel

Da sind sie wieder. Wie Ratten in der Nacht, die sich aus der Kanalisation hervortrauen, um auf Nahrungssuche zu gehen. Sie schleichen sich an mich heran. Lautlos. Zunächst unmerklich. Diese Selbstzweifel. Knabbern an mir als sei ich ein Schokoladenkeks. Nagen an meinem Selbstvertrauen, verunsichern mich. Hinterlassen eine angefressene Selbstwahrnehmung. Wer bin ich schon? Ich …
Ich wehre mich. Verjage sie. Ich bin so, wie ich bin. Nicht besser, aber auch nicht schlechter als andere. Der Morgen erwacht und die Ratten ziehen sich in ihre Kanalisation zurück. Dort gehören sie hin.

Ich habe geträumt …

Ich habe geträumt und dabei geschwitzt. Erinnern kann ich mich nicht. Ich weiß nichts über mögliche Ursachen oder Auslöser (oder doch?). Aber ich weiß, dass ich geträumt habe. Und dabei ist ein Gefühl haften geblieben. So ein unangenehmes Gefühl. Eines, wie ein Putzlappen: nassgemacht, ausgewrungen, durch den Dreck gezogen, weggeworfen. Dieses Gefühl hat mir der Traum hinterlassen. Ungefragt, unaufgefordert. Einfach so. Träume sind manchmal so schrecklich besitzergreifend.

Rezidiv

Sie starrte auf das Blatt Papier in ihren Händen, das man ihr an der Anmeldung der radiologischen Praxis wortlos überreicht hatte. Rezidiv. Dieses kleine Wort stach hervor, schien einen größeren Schrifttyp zu haben, fettgedruckt, Großbuchstaben, rot. Und doch wusste sie, dass es nicht so war.
Nur 18 Monate nach der schweren OP, die aus ihrem Mann eine pflegebedürftige Person gemacht hatte, nun das. Wie sollte sie ihm diese Nachricht schonend beibringen?
Leise begann der Himmel zu weinen. Sie spürte es nicht. Regungslos stand sie vor der Praxis, starrte auf das Blatt Papier in ihren Händen, auf dieses kleine, große Wort, und ihre Tränen vermischten sich mit dem zarten Nieselregen.
Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so einsam, so verlassen, so verraten gefühlt.

OP gut überstanden! – Wirklich?

Dreieinhalb Monate nach der Diagnose hallte dieses Wort – Raumforderung – immer noch in ihrem Kopf, hatte sich dort festgebissen wie eine Zecke und nährte sich an ihren Gedanken.

Den ganzen Vormittag war sie in der Wohnung auf und ab gelaufen. Gegen Mittag, nachdem sie bereits zweimal in der Klinik angerufen hatte, hielt sie es nicht mehr aus. Warten konnte sie auch vor Ort.

14.15 Uhr. Der Linoleumboden zeigte in der Mitte des Ganges leichte Rissspuren. Sie kam auf 35 haarfeine Kratzer, die sich dunkler von dem Einheitsgrau absetzten. Es waren genau 27 Schritte zum Aufzug. Immer wieder lief sie diese 27 Schritte, bei jedem Dingdong, das den Halt auf der Etage der Station ankündigte. 27 Schritte hin, 27 Schritte wieder zurück, zu ihrem Stuhl, direkt vor dem geschlossenen Eingang der Intensivstation.

16.00 Uhr. Mittlerweile war Besuchszeit. Menschen kamen, baten um Einlass, um ihre Erkrankten zu besuchen. 35 Schritte bis zur Toilette. Eine Krankenschwester hatte Mitleid mit ihr. Brachte ihr eine Tasse Kaffee. Nein, sie hatte noch nichts gehört. Er war noch im OP.

17.45 Uhr. Sie zitterte am ganzen Körper. Schweißperlen auf der Stirn und im Nacken. Wieder 27 Schritte zum Aufzug. 27 Schritte zurück. An den Wänden medizinische Plakate. Schwarze Streifen von angestoßenen Betten. Nein, noch nichts gehört.

18.10 Uhr. Die nette Krankenschwester verkündete: OP beendet. Ihr Mann wird gleich nach oben gebracht. Übelkeit. Erleichterung. Sorge. Schwindel.

18.35 Uhr. Diesmal war es sein Dingdong. Das Bett rollte an ihr vorbei. Ein Kopfverband mit einem Blutfleck auf der Stirn. Die Augen geöffnet. Er sah sie an. Sah er sie wirklich an? Der Arzt kam auf sie zu. Sie hörte ihn und seine Erklärungen, über den Verlauf der OP, über die Tapferkeit ihres Mannes, über die Vorteile einer Wach-OP, über elf Stunden Operation, über den Ausfall der rechten Hand, über …
Tränen liefen ihr über das Gesicht. Sie entschuldigte sich. Der Arzt strich ihr über die Schulter. Hörte auf mit seinen Erklärungen. Alles in Ordnung. Die Anspannung. Alles ist gut. Alles wird gut.

Aber Ärzte sind keine Hellseher.

Es sind diese Tage

Es sind diese Tage,
an denen der Kopf schwer wird,
kaum Platz für Neues bietet.

Es sind diese Tage,
an denen der Mund verstummt
und das Lächeln gefriert.

Es sind diese Tage,
die Trauer und Angst in sich bergen,
das Atmen fällt schwer.

Es sind diese Tage,
nach schlaflosen Nächten
und schweißnassen Laken.

Es sind diese Tage,
die weniger werden,
aber nie ganz aufhören.